Gesangvereine

Was wären die großen Opern-, Oratorien- und Schauspielmusikkomponisten des 19. Jahrhunderts ohne Gesangvereine? Diese Frage stellt sich leider viel zu selten. Doch wie verbreitete sich Musik in einer Zeit ohne Radio, CD und andere digitale Massenmedien? Entweder man ging ins Konzert oder man muszierte selbst. Eine andere Möglichkeit gab es schlicht nicht. Für uns im 21. Jahrhundert ist das unvorstellbar. Eine unbekannte Band lädt heutzutage mit wenigen Klicks ihre Songs bei Youtube hoch und quasi sofort kann sie jeder auf der ganzen Welt hören.

Der Komponist des 19. Jahrhunderts war darauf angewiesen, dass ein Theater seine Werke spielte und die vielen Gesangvereine, die sich vor allem im deutschsprachigen Raum gründeten, die Highlights in ihr Repertoire aufnahmen. Das war der größtmögliche Verbreitungsweg, den zumindest Teile eines großen Werkes im 19. Jahrhundert nehmen konnten. Der „Jägerchor“ aus Webers Der Freischütz, der „Chor der Priester“ aus Mozarts Die Zauberflöte, der „Chor der Gefangenen“ aus Verdis Nabucco und unzählige andere Kompositionen bis hin zu Wagners Brautchor aus dem Lohengrin oder dem Schlusschor aus Die Meistersinger von Nürnberg wurden in Liederbüchern für die vielen Laienchöre abgedruckt und plötzlich schmetterten überall, von der Großstadt bis ins kleinste Dorf, Laienchöre die aktuellsten Hits der damals lebenden Komponisten.

Durch das Singen dieser Stücke wurden jedoch nicht nur die Komponisten bekannt, sondern umgekehrt wurden die Sängerinnen und Sänger jeglichen Bildungsstandes mit Hochkultur vertraut gemacht, die sie ohne ihre Singetätigkeit nie kennen gelernt hätten. Somit wurde den Gesangvereinen ein großer Bildungsauftrag zuteil, der zudem natürlich auch die Ausbildung ihrer Mitglieder in Gesangstechnik und Musiktheorie umfasste. Ob vom Lehrerchor in der Universitätsstadt, vom Bäckergesangverein in der Kleinstadt oder vom eher volkstümlich geprägten Männergesangverein auf dem Dorf – aus all ihren Kehlen ertönten die o. g. Stücke.
Noch heute gibt es viele bereits im 19. Jahrhundert gegründete Gesangvereine. Ich leite seit 2008 selbst einen davon – den Männergesangverein Langenbernsdorf e. V. – und ich stehe und stand auch als dessen Vorsitzender immer wieder vor der Aufgabe, Tradition und aktuelle Herausforderungen, wie Überalterung sowie einen scheinbaren Wandel des Musikgeschmacks, miteinander in Einklang zu bringen. Mittelfristig ist mir das sehr gut gelungen – weil ich Mitstreiter habe, die sich darauf eingelassen haben. Andernorts wurden Gesangvereine aus Unwilligkeit Veränderungen voranzutreiben regelrecht zugrunde gerichtet. Als Maßstab für meine Vorschläge, Entscheidungen und in den Augen mancher auch harten Umbrüche legte ich stets meine Erkenntnisse aus Archivrecherchen zugrunde. Mein 1871 gegründeter Gesangverein ist in der glücklichen Lage, nahezu lückenlos alle Akten seit 1878 zu besitzen. Seit einigen Jahren arbeite ich diese auf und lerne immer wieder erstaunt, wie lebendig unsere Sängerahnen ihr Chor- und Vereinsleben gestaltet haben.

Brief an die Königliche Amtshauptmannschaft zu Zwickau 1878
Brief an die Königliche Amtshauptmannschaft zu Zwickau 1878
Männergesangverein Langenbernsdorf 1926
Männergesangverein Langenbernsdorf 1926
Der Männerchor des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. im Jahr 2016
Der Männerchor des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. im Jahr 2016
Der Projektchor des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. im Jahr 2016
Der Projektchor des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. im Jahr 2016