Wie ich wurde, was ich bin

Stand: 2019

Auf dieser Seite möchte ich in ausführlicher Form erläutern, wie es dazu kam, dass aus einem einfachen Arbeiterkind vom Lande ein international tätiger Musikwissenschaftler und Dirigent wurde. Ich bin der erste in meiner Familie, der ein Gymnasium besucht hat und so auf dem ersten Bildungsweg das Abitur erlangte, und ich bin der erste in meiner Familie, der ein Hochschulstudium abgeschlossen hat. Mit meiner Biografie und meinen Erfahrungen möchte ich anderen Mut machen. Wer ein Ziel verfolgt und bereit ist dafür zu kämpfen, der wird auch erfolgreich sein.

Bis heute bin ich dem Akkordeon treu geblieben, auch wenn ich nur noch selten zum Spielen komme.
Bis heute bin ich dem Akkordeon treu geblieben, auch wenn ich nur noch selten zum Spielen komme.

Der erste Musikschulunterricht

Bereits in der ersten Klasse kam die Musikschule Fröhlich in unsere Schule und warb um neue Interessenten. Ich wollte damals unbedingt mitmachen. Doch meine Eltern ließen mich nicht. Das sei wieder nur eine solche Flause im Kopf, von denen ich wohl einige hatte. Auch in der zweiten Klasse bettelte ich vergebens. Bekanntlich sind aller guten Dinge drei, und im dritten Jahr konnten sich meine Eltern nicht mehr ‚wehren‘. Heute bin ich ihnen dankbar, denn hätte ich sofort in der ersten Klasse begonnen, wäre meine Lust womöglich wirklich schnell wieder verflogen. Jedenfalls übte ich mich in Geduld und Beharrlichkeit und niemand konnte mir mehr vorwerfen, ich hätte bezüglich der Musik Flausen im Kopf gehabt. Ich lernte nun ab 1996 in der Musikschule Fröhlich in Meerane, zuerst, wie alle Anfänger, Melodika und anschließend Akkordeon. Ich machte schnell große Fortschritte und wurde bereits 1999 Mitglied des großen Orchesters, wo ich ebenfalls schnell zur Gruppe der Besten zählte. Bei der allerersten Probe begegnete ich übrigens im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal bewusst der Frau, die ich 13 Jahre später geheiratet habe.
Wenn ich heute auf diese erste Musikschulzeit zurückschaue, so könnte das Urteil nicht ambivalenter sein. Obwohl ich lange Zeit der Jüngste war, wurde ich sofort in die Gruppe integriert. Drei Jahre Altersunterschied bedeuten in diesem Alter Welten. Auf gemeinsamen Ausfahrten, in Probenlagern und zu Auftritten erlebte ich eine großartige Zeit, lernte viel über das Leben und zwischenmenschliche Beziehungen. Wie in jedem Orchester waren natürlich auch bei uns die schrägsten Typen auf einem Haufen versammelt. Liebespaare fanden und trennten sich. Streitigkeiten wurden ausgetragen und Versöhnungen zelebriert. Ich lernte zum ersten Mal persönlich eine Satanistin kennen und teilte während eines Probenlagers das Zimmer mit einem strammen Neonazi. Womöglich verdanke ich diesen Erfahrungen – dieser Sozialisation –, dass ich einigermaßen stabil und m. E. schnell meine Pubertät überwunden habe.

Musikalisch allerdings frage ich mich heute, was mir diese Zeit gebracht hat. Das (damalige) Konzept der Musikschule Fröhlich halte ich für höchst fragwürdig: Kein Theorieunterricht, der seinen Namen verdient, keine Förderung von individuellen Fähigkeiten und zum Himmel schreiende Arrangements; die Genres ähnelten mehr einer Partyband als einem Orchester. Ohne das verallgemeinernd abwertend zu meinen, so wurde in einer solchen ‚musikalischen Ausbildung‘ in keiner Weise der Nährboden für eine ernsthafte Musikerkarriere gelegt. Sollte es wahrscheinlich auch gar nicht…? Dass ich heute dort stehe, wo ich bin, hat also sicherlich eine kleine Wurzel in dieser Zeit, aber wesentlich für meine musikalische Entwicklung müssen andere Dinge gewesen sein.

Die Begeisterung für klassische Musik

Ich werde immer wieder gefragt, wo mein Interesse für klassische Musik begründet liegt. Weder gab es in meiner Familie in den letzten 200 Jahren je einen Musiker, noch erreichte das Interesse meiner Familie oder meines heimischen Umfeldes an klassischer Musik – abgesehen von einer Musical-affinen Tante – jemals einen messbaren Wert. Im Laufe der Jahre hat sich das wohl etwas geändert.

Wo mein Interesse an klassischer Musik herkommt, ist mir völlig unklar. Aber ich kann zwei Ereignisse benennen, an denen es sich Bahn brach: Das eine ist mein Musikunterricht am Georgius-Agricola-Gymnasium Glauchau, vor allem in den Klassenstufen 6–9, der im besten Sinne traditionell war. Populäre Musik kam darin quasi nicht vor. Ich war wohl der einzige, der sich darüber freute. Neben dem an der Gitarre begleiteten Gesang von Volksliedern und den größten Schlagern der deutschen Liedermacher lernten wir stur die Biografien von Bach, Händel, Vivaldi, Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert auswendig – vor allem hörten wir jedoch immer wieder ihre Werke. In mir zuckte es immer mehr und jedes Mal, wenn der Plattenspieler oder der CD-Player geöffnet wurde, freute ich mich. Das führte dazu, dass ich eines Tages in einem Laden vor der zehn CDs umfassenden Box „100 Meisterwerke der klassischen Musik“ Halt machte und sie ohne großes Zögern kaufte. Kurz darauf folgten die Gesamteinspielung der Sinfonien Ludwig van Beethovens sowie die Partituren der Sinfonien Nr. 5–7. Im stillen Kämmerlein studierte ich die Meisterwerke der Musikgeschichte; mein Umfeld bekam davon wenig bis gar nichts mit.

Ich war nun sprichwörtlich auf den Geschmack gekommen. Doch wie konnte ich einen klassischen Musikbetrieb kennen lernen und erfahren, welche Möglichkeiten er bietet? An eine berufliche Perspektive konnte ich damals noch nicht denken; dazu fehlte mir schlicht die Vorstellungskraft. Ich sah meine Zukunft zu jener Zeit entweder in der Landwirtschaft oder im Ingenieurwesen. Aber ich dachte mir, ein Praktikum könne nicht schaden. Schließlich war es in der 10. Klasse ohnehin Pflicht. So bewarb ich mich in der Konzertdramaturgie der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz, wo ich im Januar / Februar 2004 nicht nur Praktikant von Konzertdramaturgin Irmgard Bormann wurde und einen großen Theaterbetrieb kennen lernte, sondern nach dem ich den unumstößlichen Entschluss fasste: Meine berufliche Zukunft ist die Musik.

Auf der Suche nach Klavierunterricht: Die größte Herabwürdigung meiner Jugend

Schon sehr früh regte sich in mir die Lust, nicht nur im Orchester zu sitzen und mitzuspielen, sondern auch einmal ein großes Ensemble selbst zu dirigieren. Im Meeraner Akkordeonorchester gönnte man mir dies nicht. Als ich in der 10. Klasse mein Praktikum bei der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz absolvierte, wurde ich mit vielen Dirigenten bekannt gemacht. Besonders GMD Dieter-Gerhardt Worm nahm sich meiner an und wir trafen uns sogar zu einer Dirigierstunde. Auch wenn es nur eine Stunde war, so sollte dies ein prägender Moment sein: Wir behandelten auf meinen Wunsch hin den 1. Satz aus Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie – das Werk, das mich überhaupt zur Musik gebracht hatte. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich diese Sinfonie jemals dirigieren würde, doch ich wollte diesem Traum so nah wie möglich kommen. Im September 2018 – also 14 Jahre später – war es soweit: Im Rahmen meines Projektes "Ein Dorf singt" dirigierte ich in Langenbernsdorf in zwei Konzerten die Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach mit Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie!

Damals hatte ich mir eingebildet, tatsächlich Dirigieren studieren zu können. Allerdings spielte ich zu dieser Zeit weder Klavier noch ein anderes Orchesterinstrument und meine musikalische Bildung ist aus heutiger Sicht selbst mit ‚mangelhaft‘ noch euphemistisch umschrieben. Doch GMD Worm glaubte an mich und vermittelte mich an eine renommierte sächsische Klavierpädagogin, um das Klavierspiel und die nötigen musiktheoretischen Grundlagen zu erlernen. Als ich dort vorstellig wurde und mein Anliegen erläuterte, brach höhnisches Gelächter über mich herein und ich wurde auf der Stelle hinaus gebeten. Ich könne mir ein Musikstudium aus dem Kopf schlagen und auch vor einem Orchester würde ich niemals stehen, sagte man mir damals. Diesen entwürdigenden Moment werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Herrn Worm habe ich nie wiedergesehen. Doch ein wichtiger Rat hat sich bewahrheitet: „Wenn du jemals ein Orchester dirigieren willst, lerne einen Chor zu leiten!“ Damals konnte ich mir die naive Frage: „Wozu? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“ gerade noch verkneifen, aber gestellt habe ich sie mir im Stillen trotzdem. Heute weiß ich, dass das einer der besten Ratschläge war, die ich je in meinem Leben gehört habe. Ich bin froh ihn befolgt zu haben.

Obwohl ich mit ungebrochenem Eifer gegen die o. g. Herabwürdigung ankämpfen wollte, dauerte es noch fast ein Jahr, bis ich wieder den Mut hatte, einen zweiten Anlauf zu nehmen. Anfang 2005 – ich war mittlerweile in der elften Klasse – wurde ich Klavierschüler von Antje Herrmann (Ronneburg). Sie sagte mir bereits vor der ersten Stunde, dass ich verrückt sei, aber sie nehme die Herausforderung, mich zu unterrichten, genauso gern an, wie ich das wenig aussichtsreiche, aber nicht unmögliche Unterfangen, das Klavierspiel zu erlernen, um zwei Jahre später eine Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule zu bestehen, einging. Unterricht im Fach Musiktheorie wurde mir mit der Begründung verwehrt, ich sei zu alt. Also blieb mir nur das Selbststudium.

Dieter-Gerhardt Worm ist der Dirigent, der mich in meinem Wunsch bestärkt und sämtliche Selbstzweifel ausgeräumt hat.
Dieter-Gerhardt Worm ist der Dirigent, der mich in meinem Wunsch bestärkt und sämtliche Selbstzweifel ausgeräumt hat.

Auf dem Weg zum Studium: Wieso nicht Musikwissenschaft?

Antje Herrmann verdanke ich nicht nur, dass ich von Grund auf lernte Klavier zu spielen – inkl. der Erfahrung des Gruppenvorspiels mit Grundschülern, die im Unterricht bei ihr genauso weit waren, wie ich –, sondern sie half mir mit ihren kritischen Einschätzungen insofern, dass ich meinen weiteren Weg anpasste, ohne mein Fernziel aufzugeben. Ich wollte mittlerweile Komposition studieren, da ich, u. a. angeregt durch Antje Herrmann, die Lust am Komponieren gefunden hatte (mehr dazu unter Musik... komponieren) und – was natürlich der triftigere Grund war – weil die Anforderungen für die Aufnahmeprüfung leichter waren. Irgendwann sagte Antje: „Warum studierst du denn eigentlich nicht Musikwissenschaft?“ Mit 19 Jahren hörte ich zum ersten Mal, dass es diese Wissenschaftsdisziplin überhaupt gibt. In der Folge begann ich damit, mich darüber zu informieren. Irgendwann erkannte ich, dass ich mit einem Musikwissenschaftsstudium in Weimar auch die Möglichkeit hätte, irgendwann Dirigieren zu studieren. Als ich mich 2008 bewarb, waren die meisten Reaktionen meines Umfeldes irgendwo zwischen abschätzigem Belächeln und mehr oder weniger deutlichen „Das schaffst du eh nicht!“-Bekundungen zu finden. Was mich nachhaltig traurig machte, war, dass darunter vor allem (Musikschul-) Lehrer und diejenigen waren, mit denen ich bis dahin gemeinsame musikalische Erfahrungen sammeln durfte. Die einzigen, die wirklich hinter mir standen, waren meine Klavierlehrerin und meine beiden Musiklehrerinnen am Glauchauer Gymnasium, die mir am Ende meiner Schulzeit die Möglichkeit gegeben hatten, sowohl den Schulchor als auch das Schulorchester zu dirigieren (mehr dazu unter Musik… dirigieren: Chor).

Zu meiner eigenen Abiturfeier im Sommer 2006 durfte ich unseren Schulchor dirigieren.
Zu meiner eigenen Abiturfeier im Sommer 2006 durfte ich unseren Schulchor dirigieren.

Das Studium in Weimar, oder: Der dirigierende Musikwissenschaftler

Das Jahr 2008 war für mich in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt im Leben. Im Januar starb mit meiner Großmutter eine meiner wichtigsten Bezugspersonen. In den Tagen danach komponierte ich mein Werk Die Rose – Trauerlied für Omi (mehr dazu unter Musik... komponieren), fasste im Februar endgültig den Entschluss Musikwissenschaft studieren zu wollen und wurde durch die Vermittlung von Antje Herrmann im März Liedermeister des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. (mehr dazu unter Musik… dirigieren: Chor). Im Sommer absolvierte ich Aufnahmeprüfungen in Halle, Dresden und Weimar. Als ich von Weimar die Zulassung erhielt, was ich selbst kaum zu glauben wagte, war ich bereits am Ziel dessen, was ich mir gewünscht hatte. Es war zugegebenermaßen auch ein Stückweit eine Genugtuung, waren doch die Skeptiker in meinem Umfeld in der deutlichen Überzahl gewesen. Die nicht mehr nötige Aufnahmeprüfung in Leipzig abzusagen war ein triumphaler Moment.

Bereits mein erstes Semester erweiterte meinen Wissens- und Erfahrungshorizont auf ein mir zuvor nicht vorstellbares Maß. Ich lernte Arbeitstechniken des Faches kennen, besuchte eine Vorlesung zu Heinrich Schütz, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte, schrieb meine ersten Hausarbeiten über das Parodieverfahren in Bachs Weihnachtsoratorium sowie in einem Ikonographie-Seminar über das Frontispiz der Musurgia universalis und erlebte auch sonst allerhand Spannendes, das mich für mein Fach begeisterte.

Noch bevor mein erstes Semester zu Ende ging, stellte ich mich am Weimarer Institut für Dirigieren und Korrepetition vor. Obwohl ich mit zurückhaltend-fragenden Gesichtern beäugt wurde, wieso in aller Welt ein Musikwissenschaftler dirigieren will, bekam ich nach dem erfolgreichen Vordirigeren (Mozart, Sinfonie g-Moll KV 550) ab dem zweiten Semester Unterricht im Fach Orchesterdirigieren bei Lancelot Fuhry und Joan Pagès. Im Zuge dieses Unterrichts stand ich wenig später mit dem 4. Satz aus Mendelssohn Bartholdys 1. Sinfonie erstmals zu Probezwecken am Pult des Collegium Musicum Weimar; viele weitere Proben folgten in den kommenden Semestern.

Nachdem ich einiges an Handwerk gelernt hatte, etwas Dirigierpraxis vorweisen konnte und mir durch meine Zeit als Cembalist (Generalbass) und Pianist im Kammerorchester „Ensemble Amadeus“ mehr Musikalität aneignen konnte, wollte ich es wissen: Aus Anlass des 140-jährigen Jubiläums des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. im Jahr 2011 wollte ich ein großes Konzert dirigieren. Neben der Suche von weiteren an einem solchen Projekt interessierten Chören musste natürlich zu allererst ein Orchester gefunden werden, das sich darauf einließ. Zwei regionale Sinfonieorchester sagten ab, doch die Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach und ihr Intendant GMD Stefan Fraas sagten zu. So wurde ich auf die Auerbacher Sommerkurse Orchesterdirigieren mit den vorgenannten Protagonisten aufmerksam, an denen ich seitdem teilnehme, und in denen ich quasi meinen Dirigierunterricht fortsetzen konnte. Am 22.10.2011, dem 200. Geburtstag Franz Liszts, war es dann soweit: In der Sachsenlandhalle Glauchau stand ich am Pult eines 110 Sänger starken Männerchores und der Vogtland Philharmonie. Auf dem Programm standen mit den Ouvertüren und weiteren Auszügen aus Der Freischütz und Die Zauberflöte oder Va‘, pensiero nicht nur einige meiner Lieblingsstücke, sondern gleichsam dankbare Unterrichtswerke. Wieder einmal war ich weiter gekommen als erhofft und noch bis zum Konzerttag gab es Zweifler, dass ich ernsthaft als Dirigent auf diese Bühne treten werde. Der oben erwähnten, mich so mies behandelnden Klavierpädagogin hatte ich kommentarlos zwei Freikarten geschickt. Diese erhielt ich genauso kommentarlos zurück.
Auf der Grundlage dieses Konzertes 2011 entstand schließlich 2013 das Projekt „Ein Dorf singt“ (siehe Musik… dirigieren: Chorsinfonik).

2011 Konzert 2
Mein Debüt-Konzert am 22.10.2011 in Glauchau.

Von Weimar in die Welt: Aus dem Studenten ist der Musikwissenschaftler geworden

Wenige Monate vor dem Konzert 2011 hatte ich meine Bachelorarbeit Untersuchungen zu den Miserere-Vertonungen Niccolò Jommellis (Textband und Notenedition) abgegeben (siehe auch Musik… edieren: Niccolò Jommelli). Da arbeitete ich bereits als Hilfskraft im Forschungsprojekt „Psalmvertonungen des 17. und 18. Jahrhunderts in Italien“ unter Leitung von Prof. Dr. Helen Geyer. Als 2014 der Tagungsband Psalmen. Kirchenmusik zwischen Tradition, Dramatik und Experiment veröffentlich wurde, durfte ich darin die Ergebnisse meiner Bachelorarbeit als zusätzlichen Beitrag veröffentlichen. In der gleichen Zeit arbeitete ich als Hilfskraft im Organisationsteam des Internationalen Heinrich-Schütz-Festes 2013 für das Deutsche Studienzentrum in Venedig (Centro Tedesco di Studi Veneziani).

Im Herbst 2014 stellte ich meine Forschungsergebnisse bzgl. Jommelli auf der Giornata di Studi „Le stagioni di Niccolò Jommelli tra Venezia e l’Europa“ vor. Dort regte ich an, diese Werke doch endlich einmal aufzuführen. Am Europäischen Tag der Alten Musik 2016 war es soweit: Ich wurde nach Neapel eingeladen, um dort ein Konzert zu moderieren, in dem unter Verwendung meiner Notenedition meine Forschungsergebnisse aus der Bachelorarbeit hörbar gemacht wurden – mein erster Vortrag auf Italienisch.

Nach meiner Bachelorarbeit und meinen damit verbundenen ersten Editions-Versuchen warb mich Helen Geyer erfolgreich als Editor für die von ihr gegründete und verantwortete Luigi Cherubini Werkausgabe. Das war wohl der für meine musikwissenschaftliche Laufbahn wegweisendste aller Schritte. Cherubini kannte ich zuvor nicht, noch nie hatte ich eines seiner Werke gehört. Ich sollte die frühen kleinformatigen Kirchenmusikwerke edieren, denn – so die nüchterne Bestandsaufnahme damals – um die Kirchenmusik Cherubinis kümmere sich ja niemand in der Wissenschaftswelt. Sehr früh erkannte ich das Potential, das in dieser Aufgabe schlummerte. Seither ist Cherubini ins Zentrum sowohl meiner wissenschaftlichen als auch meiner editorischen und sogar meiner dirigentischen Arbeit gerückt. Ich gebe ca. 90 kleine und große geistliche Werke im Rahmen der Luigi Cherubini Werkausgabe heraus, ich bin nach meiner Masterarbeit Studien zu den bis 1790 entstandenen kleinformatigen Kirchenmusikwerken Luigi Cherubinis (Textband und Notenedition) gerade dabei meine Doktorarbeit Luigi Cherubinis geistliche Kompositionen. Eine Untersuchung im Spannungsfeld zwischen Tradition, Revolution und Restauration unter besonderer Berücksichtigung seiner Motetten, Kantaten und Instrumentalmusik zu verfassen, ich wurde Geschäftsführer der Internationalen Cherubini-Gesellschaft e. V. und wirk(t)e als Autor und Herausgeber bei diversen Publikationen über das Leben und Werk Cherubinis mit, wie z. B. Cherubiniana | Zeitschrift der Internationalen Cherubini-Gesellschaft e. V., der Schriftenreihe Cherubini Studies, dem Katalog zur Ausstellung Luigi Cherubini – Eine Herausforderung. Autographe Bestände Krakau 2014 | Katalog wystawy Luigi Cherubini jako wyzwanie. Zbiory autografów Kraków 2014 oder mit Programmheft- und CD-Booklet-Texten (siehe Über Musik… publizieren).

Arbeit an Cherubini-Manuskripten in Krakau.
Arbeit an Cherubini-Manuskripten in Krakau.
Recherchen im Domarchiv in Florenz.
Recherchen im Domarchiv in Florenz.

Fazit: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Noch vor Ablauf eines Jahrzehntes nach meiner Bewerbung für ein Musikwissenschaftsstudium in Weimar kann ich mit Stolz auf alles Erreichte zurückblicken. Mit einem starken Willen, Mut, Ehrgeiz, Fleiß und viel Abenteuerlust gelang mir, was mir kaum jemand zugetraut hatte. Sicher war an mancher Stelle auch Glück dabei, aber man muss auch in der Lage sein, vor einem liegende Chancen zu erkennen und sich neu auftuende Wege nicht als Hindernis oder Umweg zu betrachten, sondern als dankbare Horizonterweiterung. Das ist mir ganz gut gelungen. Noch lange vor meinem Master-Abschluss erhielt ich meinen ersten Lehrauftrag, begann zu publizieren und arbeitete federführend an einer internationalen Ausstellung in Krakau mit. Ich wurde nicht nur Editor in der Luigi Cherubini Werkausgabe, sondern gründete mit Helen Geyer zusammen die Johann Melchior Molter-Werkausgabe und wuchs in wichtige administrative Ämter hinein. Wissenschaftliche Forschungsaufenthalte führten mich in den ersten Jahren u. a. nach Venedig, Florenz, Mailand, Neapel, Krakau, Breslau, Paris und Washington D. C. Fast überall lernte ich Menschen kennen, mit denen ich in Kontakt geblieben bin; nach und nach wuchs der Stamm eines internationalen Netzwerkes.

Gleichzeitig verwirklichte ich als Dirigent denjenigen Traum, der mich überhaupt erst zur Musik und schließlich zur Musikwissenschaft gebracht hatte. Regelmäßig dirigiere ich nun nicht nur kleine Chorauftritte, sondern große chorsinfonische Konzerte. Bis dahin war es ebenfalls nicht nur ein harter musikalischer Weg, sondern es galt etliche administrative Hürden zu überwinden. Mit der Gründung und Durchführung meines überregional für Aufsehen sorgenden und mittlerweile preisgekrönten Projektes „Ein Dorf singt“ wuchs ich nicht nur als Dirigent, sondern wurde gleichsam Kulturmanager, Diplomat und Moderator in jeglichem Sinne. Ich hatte gegen Neid, Verleumdung und persönliche Attacken zu kämpfen – nicht zu vergessen die Hürden des Alltages und die immer wieder neuen Steine, die man in den Weg gerollt bekommt, wo man doch gerade erst den letzten beiseite geräumt hatte. Doch was einen nicht umbringt, macht ja bekanntlich stärker.

Ich habe stets an mich geglaubt, nie auf die „Das kannst du nicht“-Rufenden gehört, nie Rückschläge als Scheitern, sondern lediglich als einen Schritt rückwärts begriffen, und ich habe Chancen dort ergriffen, wo sie sich mir geboten haben. Aus heutiger Sicht sieht mein Weg sehr geradlinig aus. Doch das Gegenteil ist der Fall gewesen: In keinem der ersten Jahre wusste ich, wo ich im nächsten stehen würde. Viele Ideen wurden von den meisten Menschen um mich herum als verrückt und unmöglich umsetzbar angesehen. Hatten sie nicht doch recht? Sich gegen all die Zweifler – leider oft aus den eigenen Reihen – durchzusetzen, kostet viel Kraft und ist nicht immer leicht. Doch durch das ständige Hinterfragen des eigenen Handelns fasste ich Entschlüsse umso bewusster. Rückblickend bleibt also nüchtern festzustellen: Meine größten Kritiker haben mich auf meinem Weg am weitesten voran gebracht.

Gemeinsam mit meiner wichtigsten Förderin: Prof. Dr. Helen Geyer.
Gemeinsam mit meiner wichtigsten Förderin: Prof. Dr. Helen Geyer.