Seit einem Jahr bei der Vogtland Philharmonie

Seit einem Jahr bei der Vogtland Philharmonie

Die Vogtland Philharmonie kenne ich nach diversen gemeinsamen Projekten nun schon fast zehn Jahre lang. Seit einem Jahr arbeite ich als Dramaturgischer Mitarbeiter für das Orchester und seinen Förderverein. Viele Leute stellen sich sehr oft die Frage: „Was macht man eigentlich im Büro eines Orchesters?“ Ich möchte mit einem Augenzwinkern zurück blicken auf mein erstes erlebnisreiches Jahr. Ein paar der Antworten auf die Fragen mögen damit vielleicht gegeben werden...

Der erste Arbeitstag

Mein erster Arbeitstag war der 3. Januar. Ich kam morgens ins Büro und wollte tun, was man nun einmal am ersten Tag tut: meinen Schreibtisch einräumen und den Computer einrichten. Ich teile mir das Büro mit der guten Seele der Philharmonie Lore Stiehler, die etwa zum selben Zeitpunkt aus dem offiziellen Erwerbsleben ausgeschieden ist, wie ich aus der Grundschule. Umso sprachloser war ich, als ich das Büro betrat und nach einem Gruß auf die andere Seite des Schreibtisches meinen Platz betrachtete. Ich bin selbst sehr selten um einen Scherz verlegen und je schwarzer der Humor desto lieber ist er mir. Doch was ich hier erblickte, erschreckte mich doch für einen Moment. Vor mir lag – und liegt noch immer – eine beschreibbare Schreibtischunterlage, die für das „exklusiv designte“ Modell „Milano“ wirbt. Auf meinem Schreibtisch liegt Werbung für einen Sarg! Von gegenüber kam nur der lapidare Kommentar: „Da haben wir mal einige geschenkt bekommen, die müssen ja auch mal alle werden...“

Am selben Tag fuhr ich vom Reichenbacher Büro aus in meine alte Heimatstadt Glauchau. Das Neujahrskonzert stand auf dem Plan und ich zum ersten Mal hinter dem Info-Stand der Vogtland Philharmonie. Ich baute während der Generalprobe im Foyer auf. Am Abend sollten einige bekannte Gesichter an mir vorüber laufen und sich verwundert fragen, was ich da mache. Bereits nach der Probe kamen jedoch zwei Musikerinnen an mir vorbei, grüßten mich verdutzt und schließlich sagte eine: „Ach, das ist aber schön, dass Sie uns heute hier unterstützen.“ – „Ähm… Wir sind seit heute Kollegen.“ So schnell, wie in diesem Moment, sieht man selten, wie ein lächelndes Gesicht komplett entgleitet und binnen Sekundenbruchteilen die Farbe wechselt. Offenbar hatte sich die Nachricht über meine Anstellung noch nicht im Orchester herumgesprochen.

Mit dem Orchester auf Reisen

Im Frühjahr war ich zum ersten Mal Reiseleiter, d. h. ich begleitete das Orchester im Bus auf eine Konzertreise. Allein. Irgendwie überkam mich in den Tagen vor der Abfahrt das Gefühl, dass sich im Büro alle darauf freuten, dass ich das erleben darf. Wie ich darauf kam? Nun ja, nach Kommentaren wie: „Ist wie Klassenfahrt. Nur schlimmer…“ oder: „Hach, von den Orchesterreisen könnten wir einige Geschichten erzählen. Aber wir tun das lieber nicht – nicht, dass wir Sie verunsichern…“, konnte ich nicht wirklich beruhigt sein. Zuvor hatte ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht; was sollte denn auch passieren? Hinterher ist man immer schlauer; ich muss gerade wieder über mich selbst lachen…

Natürlich standen wir auf meiner ersten Fahrt im Stau. Damit es sich auch lohnte, sogar mehrfach. Der Plan war: Einchecken, zur Ruhe kommen, anschließend Generalprobe und Konzert. Auf der letzten Raststätte stellten Busfahrer, Orchestervorstand und ich fest, dass das wohl eine Punktlandung wird, vorausgesetzt es kämen jetzt keine weiteren Staus. Es kam natürlich so. Wir hatten in kleiner Runde eine Planänderung erörtert, von der wir natürlich wussten, dass sie niemandem im Bus gefallen würde. Als ich fragte: „Und wer verkündet das jetzt?“, bekam ich zu hören: „Sie sind der Reiseleiter.“ – „Na schönen Dank auch.“ Ich griff zum Mikrofon und bereits als zu ahnen war, was ich gleich sagen würde, brach Tumult aus – und neben mir freute sich jemand sichtlich, dass er das gerade nicht sagen musste.

Auf meiner zweiten Reise erwischte es uns noch härter. Kurz nach Abfahrt des Busses in Reichenbach machte dieser komische Töne und zeigte offensichtlich falsche Messdaten. Mehrfach blieben wir stehen. Doch als selbst unser routinierter Busfahrer deutliche Fragezeichen auf der Stirn hatte, wusste ich, dass das noch ‚interessant‘ werden könnte. Nach mehrfachen Halten und Checks des inzwischen hinzugestoßenen Technikers stand fest: „Dieser Bus fährt heute nirgendwo mehr hin.“ – „Immer, wenn Sie dabei sind, passiert irgendwas…!“, polterte es mir ziemlich früh schon entgegen. Nach einer Stunde kam glücklicherweise ein Ersatzbus. Zwischenzeitlich war sogar die Option Bahn geprüft worden. Man stelle sich das vor: 50 Vogtland Philharmoniker samt Instrumenten und Gepäck im Zug quer durch die Republik. Die Generalprobe wurde telefonisch erst nach hinten verlegt, dann mehrfach gekürzt und schließlich blieb nach der Ankunft kaum die Zeit, dass jeder auf die Bühne schauen konnte, wo sein Stuhl stand, bevor das Konzert losging. Immerhin: Es ging pünktlich los. Zwischendurch wurde ich mehrfach gefragt: „Fahren Sie beim nächsten Mal auch wieder mit?“ Seither hatte der Dienstplan für mich keine Reiseleitung mehr vorgesehen…

Solisten

Besonders bei den großen Open-Air-Veranstaltungen kommt man während der Proben und Konzerte mit den unterschiedlichsten Solisten zusammen. Manche erfüllen mit aller Gewalt das Klischee, das man ohnehin von ihnen hat, andere brechen diese Erwartung ebenso radikal. Als einer – ein Weltstar – darüber klagte, dass sich sein Hund während der Nacht vor dem großen Konzert ständig erbrochen hätte und er deswegen kaum geschlafen habe, dachte ich mir noch: „Ach ist das schön, dass solche Leute mitunter ganz menschliche Probleme haben.“ Auch andere waren so auffallend ‚normal‘.

Davon kann hingegen bei Katrin Weber keine Rede sein. Die erste Begegnung mit ihr hat sich bei mir am tiefsten eingebrannt. Für den PHIL hatten wir sehr früh ein Interview geplant. Der Name Katrin Weber sagte mir natürlich etwas, doch live erlebt hatte ich sie noch nicht. Als ich zu Hause von dem Vorhaben erzählte, begegneten mir einige wenig hilfreiche Kommentare aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis, von denen die meisten nur Nuancen vom Unisono entfernt waren: „Was? Die Weber? Die macht doch so einen wie dich zur Schnecke...“ In der Vorbereitung auf das Interview sah ich mir ungefähr ein Dutzend Fernsehshows mit Katrin Weber an. Zugegebenermaßen kann man seine Zeit deutlich öder totschlagen, aber das Lachen verging mir in der Tat umso mehr, je weiter ich mir das Anschauungsmaterial vor Augen, Ohren und schließlich Hirn führte.

Am 30. Juni war es dann soweit. Am mit 37 °C bis dahin heißesten Tag des Jahres traf ich Katrin Weber gemeinsam mit GMD Stefan Fraas zwischen Generalprobe und Konzert zum gemeinsamen Interview in Zeulenroda. Da ich anschließend Dienst hatte und mir hohe Temperaturen nichts ausmachen, kam ich bereits in langer Hose, Hemd, Krawatte und Weste. Zwischen den zahlreichen Technikern, die entweder – nach der wohl verdienten Pausen-Erfrischung in der Talsperre – nur mit einem Handtuch um die Hüften oder maximal mit kurzen Hosen und T-Shirt bekleidet waren, fiel ich natürlich auf. Auch Katrin Weber. Als sie probeweise singend – und die luftigste Stelle im Gelände suchend – durch die Reihen lief, blickte sie mich mehrfach an. Hinterher wusste ich auch warum. Denn als ich mich ihr nach der Probe vorstellte, rief sie mir merklich ernüchtert entgegen: „Ach so... und ich dachte du bist der Kellner?!“ Das folgende Interview verlief jedoch in sehr angenehmer und amüsanter Atmosphäre (in diesem Heft auf S. 4–6). Sämtliche Sorgen waren völlig umsonst.

Fazit

Ein Jahr ist um. Man hat mich in viele Bereiche hineinschnuppern und ebenso viel machen lassen. Zweifelsfrei hat man es hier bei der Vogtland Philharmonie in den vergangenen Jahren viel besser als anderswo hinbekommen, mit einer unterdurchschnittlichen Personalstärke einen überdurchschnittlich reichhaltigen Spielplan zu kreieren. Das verlangt nicht nur den Musikern, sondern genauso dem ganzen Büroteam einiges ab. Davon bin ich nun die kleinste Kerze auf der Torte, aber für einige Beobachtungen reicht das aus. Kein Tag ist wie ein anderer und niemand hat ein starr eingegrenztes Aufgabenfeld. Jeder muss anpacken, egal ob es am Freitagnachmittag 500 Briefe zu falten oder am Sonntagmorgen 1.000 Klappstühle aufzubauen gilt. Ich war anfangs überrascht und nicht immer war mir ganz wohl, wenn es hieß: „Sie erledigen dies und das“ und ich keine Ahnung von nichts hatte, oder: „Sie begleiten das Orchester allein auf die Gastspielreise.“ Doch dieses schnelle Vertrauen hat sehr früh dazu geführt, dass ich mich nicht nur wohl, sondern auch wirklich zugehörig gefühlt habe.

Und was hat sich bei mir verändert? Nun ja, ich habe die Bücher mit den Musikerwitzen in meiner Heimbibliothek aus dem Bereich „Humor“ in das Regal „Sachbücher / Dokumentationen“ umsortiert. Nein, Spaß beiseite. Natürlich gab es nicht nur die humorvollen Momente. In einem Betrieb, in dem die Hauptakteure alles andere als einen geregelten Tagesablauf haben und im entscheidenden Moment der Ausübung ihres Musikerberufes keine menschlichen Schwächen zeigen dürfen, entstehen natürlich auch ernstere Situationen. Hinzu kommt, dass man einmal Fehler macht, einen Termin vergisst oder sich einen Fauxpas leistet. Doch auch in diesen Momenten der berechtigten Kritik fühlte ich mich stets gut behandelt. In jedem Fall bewahrheitete sich die mir vielfach vorhergesagte Binsenweisheit: „Ein Orchester ist ein ganz eigenes Völkchen...“

Dieser Artikel ist auch im Mitgliedermagazin PHIL 3-2020 erschienen.