Edition und Booklet für CD: Luigi Cherubini – Geistliche Werke
Es muss nicht immer Mozart sein. Kirchenmusik Luigi Cherubinis aus der Frauenkirche Dresden
Er war nur vier Jahre jünger als Mozart und hat ihn um 51 Jahre überlebt. Als er geboren wurde, war Händel erst ein Jahr tot. Als er starb, führte Wagner in Dresden Rienzi auf. Haydn soll ihn seinen Sohn genannt haben, Beethoven hielt ihn für den besten Komponisten seiner Zeit, ohne ihn wäre Felix Mendelssohn Bartholdy womöglich nie Komponist geworden und Philipp Spitta nannte ihn besser als Bach. Die Rede ist vom in seiner Zeit in ganz Europa hochgeschätzten Komponisten Luigi Cherubini (1760–1842).
Viele seiner rund 100 geistlichen Werke sind selbst der Fachwelt heute völlig unbekannt; darunter sind neben etlichen Messen auch Antiphonen im Stile Palestrinas, höchst dramatische und mitunter großformatige Motetten, pseudoreligiöse Freimaurermusiken sowie geistliche Instrumentalmusik. Kein anderer Komponist vermochte es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch barocken Kontrapunkt und Musik mit Generalbass, aber gleichzeitig auch äußerst dramatische Werke mit zeitgenössischer, teils hochkomplexer Harmonik und filigranster Instrumentierungskunst zu schreiben.
Nachdem Frauenkirchenkantor Matthias Grünert 2017 erstmals Cherubinis Requiem in c-Moll in Dresden aufführte und dadurch weitere, gerade erst von mir edierte Werke kennen lernte, erkannte er sofort, welch großartige Musik er vor sich sah und dass diese, gewissen Widerständen zum Trotz, in der Frauenkirche zur Aufführung kommen müsse. Am 9. Februar 2019 war es soweit: Sieben Werke Luigi Cherubinis, vier aus seiner Florentiner Jugendzeit und drei aus seiner späteren Zeit am Pariser Hof, erklangen im Gedenkkonzert an die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg, drei sogar als zeitgenössische Welterstaufführungen.
Bereits in den ersten Proben wurde deutlich, dass das Ensemble mit nicht alltäglichen Herausforderungen konfrontiert war. Konnte das wirklich derselbe Komponist sein, der im Laufe eines halben Jahrhunderts diese disparaten Kompositionen vorlegte? Sind die Melodik und Harmonik wirklich so kühn? Können die teils extremen Tempi stimmen? Doch je intensiver die Werke geprobt wurden, desto stärker zogen sie die Mitwirkenden in ihren immanent Faszination ausstrahlenden Bann: Hör- und Spielgewohnheiten wurden neu justiert, das Ensemble wuchs zusammen und das Ergebnis der dreitägigen harten Probenzeit war ein großartig lebendiges Konzert, das unüberhörbar klarstellte: Cherubinis Kirchenmusikwerke gehören zu den besten des Genres. Es muss nicht immer Mozart sein.
Motor des gesamten Projektes war Matthias Grünert. Seine Repertoirekenntnis und virtuose Musikalität brachten Cherubinis Musik noch einmal heller zum Strahlen. Der CD-Mitschnitt dieses einmaligen Konzertes enthält ausschließlich Weltersteinspielungen. Alle Werke stammen aus meiner Edition. Die CD dokumentiert damit nicht nur eine gar nicht hoch genug zu schätzende Pionierarbeit, sondern sie wird für lange Zeit Referenzcharakter haben. In Matthias Grünert und seinen Ensembles hat Cherubini einen großen Fürsprecher gefunden. Nirgendwo sonst ist derzeit die Symbiose aus aktueller Cherubini-Forschung und erstklassiger Musikpraxis in besseren Händen als in Dresden. Möge die nächste Auflage mit neuen Ausgrabungen nicht lange auf sich warten lassen!