Worte im Konzert – Gedanken zu Demokratie „von unten“ und Empathie
Das Konzertprogramm unseres Projektes „Ein Dorf singt: Durch die Nacht zum Licht“ hatte zum Ziel, sowohl bedrückende (Trauer-) Musik auf der einen, als auch fröhlich-heitere Musik auf der anderen Seite miteinander zu kontrastieren. In der Mitte stand Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie. Vor dem letzten Stück, dem Schlusschor aus Joseph Haydns Die Jahreszeiten wendete ich mich an beiden Konzerttagen mit folgenden Worten an unser Publikum, die ich hier gern noch einmal wiedergeben möchte:
[…]
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielleicht haben Sie es gemerkt: Unser Programm heute hatte einen doppelten Boden – und zwar ganz bewusst. Viele hier im Saal machen sich hoffentlich Gedanken über den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft. Wir im Verein mit unseren über 100 Mitgliedern tun das ständig und wir sehen unsere Vereinsarbeit im Wesentlichen als Beitrag zu einem guten gesellschaftlichen Zusammenleben hier auf dem Dorf. In unserem Chor singt der Bauer neben dem Arzt, der Lehrer neben dem Arbeiter. Es begegnen sich in unserem Verein Menschen, die sich im normalen Leben so vielleicht nicht begegnen würden.
Wir kümmern uns um einander. Wenn ein Sänger längere Zeit krank ist, wird er besucht. Kommt jemand mehrfach nicht zur Probe und weiß keiner, was mit ihm ist, wird sich erkundigt, wie es ihm geht. Wir arbeiten zusammen, wir lachen zusammen, wir trauern zusammen, wir streiten auch miteinander. Wir lernen dadurch gegenseitig von- und übereinander. Wir lernen dabei, dass es neben uns selbst auch andere Menschen mit anderen Meinungen gibt, die es zu respektieren gilt. Wir lernen, dass jeder von uns eine Meinung hat, sich aber letztlich jeder in den Dienst der Gemeinschaft stellen muss, damit das große Ganze funktionieren kann. Diese Gemeinschaft duldet keine Egoismen und sie lässt sie gar nicht erst entstehen. Wenn ich es hochtrabend ausdrücke, dann lernen wir Vereinsmitglieder, wie Demokratie und gesellschaftliches Miteinander funktionieren, aber auch was Empathie bedeutet. Und das ist – so glaube ich – derzeit der große Mangel in unserer Gesellschaft: Uns ist die Empathie abhanden gekommen.
Unser Verein ist jetzt 147 Jahre alt. Wir haben erkannt: Wenn wir ihn in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erhalten wollen, dann müssen wir etwas tun. Wir haben deshalb in diesem Sommer erstmalig in der Vereinsgeschichte eine ganztägige Klausurtagung abgehalten. Kaum jemand hatte eine Ahnung davon, was da passiert. Stunden später blickte man in ausschließlich euphorische Gesichter von Vereinsmitgliedern, die gerade erlebt hatten, dass ihre Ideen gefragt sind, dass ihre Erfahrungen von Interesse sind und dass sich jeder in dieser Gemeinschaft verwirklichen kann. Da war kein „die da oben“ geben „uns da unten“ den Kurs vor. Sondern wir alle haben auf Augenhöhe unsere eigene Zukunft in die Waagschale geworfen und gemeinsam die Weichen für eine gute Zukunft gestellt.
Wer mich kennt, weiß, ich bin unerschütterlicher Optimist. Ich sage mir: Was im kleinen Verein funktioniert, muss doch auch im Großen funktionieren! Wir brauchen mehr Menschen, die sich engagieren, die aktiv das Leben in diesem Land mitgestalten und stolz sind auf das, was da geschaffen wird. Wenn wir das schaffen, dann sind vielleicht auch viele momentan Unzufriedene wieder zufrieden. Wenn wir mit unserer eigenen Situation zufriedener sind, fällt es uns vielleicht wieder einfacher, Empathie für andere zu empfinden. Wenn wir empathischer sind, dann wird hoffentlich wieder ganz schnell zur Selbstverständlichkeit, was eigentlich in diesem Land schon einmal manifest war: Nämlich dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist, egal welche Bildung er hat, wo er geboren wurde, welcher Religion er angehört, welche Hautfarbe er hat usw. Wenn wir diese Würde wieder selbstverständlich und uneingeschränkt achten, dann lassen wir vielleicht auch nicht mehr zu, dass hier in Sachsen Menschen öffentlich applaudieren, wenn andere Menschen absaufen, oder dass hier in Sachsen mit ausgestrecktem rechten Arm „Ausländer raus“ gerufen wird; und wir werden dann hoffentlich auch nirgendwo mehr akzeptieren, dass man das als Akt der freien Meinungsäußerung bezeichnet, sondern es als das benennen, was es ist: eine widerliche und menschenverachtende Straftat, die unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert nicht duldet.
Damit komme ich zurück zu unserem Programm. Das letzte Werk, der Schlusschor aus Joseph Haydns Jahreszeiten auf einen Text von Gottfried van Swieten nach dem 15. Psalm hat exakt das zum Thema und er schließt zugleich den Bogen, den wir mit Egmont begonnen haben. Ich halte diesen Schlusschor für eines der genialsten Finali, die je geschrieben wurden. Der Text ist 2.500 Jahre alt und könnte aktueller nicht sein; die Musik krönt ihn mit einem Feuerwerk an Raffinessen. – Bei allem, was in diesem Stück steckt: Lassen Sie sich berühren von dieser großartigen Musik und erfreuen Sie sich noch einmal an unseren Chören und der Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach.
Ihr
Michael Pauser