Persönliche Eindrücke von „Ein Dorf singt: Durch die Nacht zum Licht“ 2018 – Oder: Die Sogwirkung der 5. Sinfonie

Persönliche Eindrücke von „Ein Dorf singt: Durch die Nacht zum Licht“ 2018 – Oder: Die Sogwirkung der 5. Sinfonie

Das Projekt „Ein Dorf singt“ ist immer aufregend für mich; so aufgeregt wie in der Konzertwoche bin ich in keiner anderen Woche des Jahres. Im sechsten Projektjahr sind viele Dinge mittlerweile Routine gewesen. Doch das Programm hielt, was ich im Vorfeld versprochen hatte: starke Emotionen. Vor allem mich überwältigten die Ereignisse, obwohl ich eigentlich genau wusste, was passieren wird. Das lag vor allem an einem Programmpunkt: Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie.

Es war genau dieses Werk, das mich zur Musik brachte. Ich hörte diese Sinfonie im Musikunterricht und ließ mich in ihren Bann ziehen. Im Jahr 2004 gab mir GMD Dieter-Gerhardt Worm eine Dirigierstunde. Damals, nach meinem Schulpraktikum bei der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz, hatte ich mir in den Kopf gesetzt Dirigent zu werden (vgl. Wie ich wurde, was ich bin). Ich wünschte mir den Beginn der 5. Sinfonie von Beethoven. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich damals außer der ersten Seite nichts dirigiert. Wir sprachen unendlich viel über die Musik und ihre Interpretation. Zuvor war mir nicht klar, dass man so viel über Musik nachdenken kann / muss, bevor man sie selbst macht. Insofern ist das ein prägender Schlüsselmoment.

Die Sinfonie und ihr Komponist holten mich immer wieder ein. Beethoven war der erste große Komponist, den ich wahrgenommen habe, und er zählt für mich bis heute zu den Größten. Seine 5. und 9. Sinfonie sind für mich eine künstlerische wie auch geistige und humanistische Offenbarung. Den 1. Satz spielte ich im Akkordeonorchester – rückblickend wohl meine schrägste musikpraktische Erfahrung –, in Chemnitz hörte ich das Werk erstmals und bis heute auch zum einzigen Mal in Gänze live. Von der Vogtland Philharmonie hörte ich später den 4. Satz im Rahmen einer Festveranstaltung. Im Studium widmete ich mich natürlich auch Beethoven und seinen Sinfonien: Ich untersuchte in Hausarbeiten Aspekte der Aufführungspraxis, der Quellenlage und der Interpretationsgeschichte vor allem der 5. und der 9. Sinfonie. Nur im Dirigierunterricht kam Beethoven nicht vor. Doch gleich mit meiner ersten Teilnahme am Auerbacher Sommerkurs Orchesterdirigieren im Jahr 2010 wartete Beethovens 1. Sinfonie auf mich: In der ersten Probe war ich der erste Teilnehmer, der ans Pult musste; im Abschlusskonzert stand ich mit dem 3. Satz erstmals öffentlich vor einem professionellen Orchester. Wäre all das zuvor Aufgezählte nicht prägend gewesen, dann spätestens das.

Bei diesen Voraussetzungen wird es nun nicht mehr verwunderlich sein, dass ich seit Jahren überlegt hatte, in welcher Form ich einmal in einem meiner eigenen Konzerte eine Beethoven-Sinfonie – möglichst die 5. – unterbringen könnte. Als 2016 die Entscheidung der Mitgliederversammlung des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. fiel, dass „Ein Dorf singt“ 2018 ohne Solisten stattfinden und stattdessen ein Orchesterstück die frei werdende Zeit kompensieren sollte, richtete ich meine dramaturgischen Überlegungen darauf aus, ein sinnvolles Konzertprogramm zu basteln, das diese Sinfonie enthält. Auch wenn einige die Ansicht nicht teilen, so halte ich das Programm von „Ein Dorf singt: Durch die Nacht zum Licht“ 2018 für sehr gelungen:

PROGRAMM TEIL 1

Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont, Nr. 1 Ouvertüre

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Ave verum corpus KV 618

Luigi Cherubini (1760–1842)
Requiem Nr. 1 in c-Moll, Nr. 3 „Dies irae“

[Gabriel Fauré (1845–1924)
Requiem op. 48, Nr. 5 „Agnus Dei“
musste aus Zeitgründen kurzfristig entfallen]

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Verleih uns Frieden MWV A 11 

Franz Paul Kröhne (1883–1952)
Psalm 46: Ein feste Burg ist unser Gott
zeitgenössische Erstaufführung

 

PROGRAMM TEIL 2

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 5 in c-Moll op. 67
I.        Allegro con brio
II.      Andante con moto
III.    Allegro
IV.    Allegro

Joseph Haydn (1732–1809)
ausgewählte Chöre aus den beiden Oratorien
Die Jahreszeiten Hob. XXI:3 und Die Schöpfung Hob. XXI:2:
-          „Komm, holder Lenz“ (J)
-          „Stimmt an die Saiten“ (S)
-          „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ (S)
-          „Hört, hört das laute Getön“ (J)
-          „Juchhe! Juchhe! der Wein ist da“ (J)
-          „Vollendet ist das große Werk“ (S)
-          „Dann bricht der große Morgen an“ (J)

Ich hatte Bedenken, dass der Chor überfordert sein könnte, zweimal am Stück so lange durchzusingen. Die Soli der Vorjahre haben doch immer wieder Verschnaufpausen geschaffen. Hinzu kommt, dass eine glänzend vorgetragene Arie den ein oder anderen Chorpatzer wieder vergessen machte. Doch die Befürchtungen waren unbegründet. Der Chor zeigte sich mit seiner bisher besten Leistung; erstmals gab es nichts, was hörbar daneben ging. Natürlich ist noch Luft nach oben, doch der 2013 gegründete und in seiner jetzigen Besetzung erst seit 2015 bestehende Projektchor, in dem ausschließlich Laien mit fast vollständig fehlenden Musiktheorie- und Notenkenntnissen sowie oft ohne sängerische Vorprägung singen, hat sich durch das breite Repertoire der letzten Jahre viele Kenntnisse angeeignet und sich kontinuierlich gesteigert. Ein solcher Prozess braucht Zeit und Geduld. Wenn diese konzentrierte Arbeit weiter fortgesetzt wird, dann wird in ein paar Jahren keiner mehr von einem überforderten Dorfchor mit überambitionierten Programmen sprechen.

Für mich persönlich war es das bisher fordernste Programm der „Ein Dorf singt“-Reihe, und zwar physisch wie psychisch gleichermaßen. Nicht nur die Ouvertüre und die Sinfonie gehören zum internationalen Standard-Repertoire, sondern auch die meisten der chorsinfonischen Werke. Insofern gab es gewisse Erwartungen, die erfüllt oder bewusst gebrochen werden wollten. Andererseits hatte ich noch nie eine große Sinfonie in einem selbst verantworteten Konzert dirigiert. Manchmal in der Vorbereitung habe ich mich selbst verflucht, dass ich mir dafür extra die 5. ausgesucht hatte, die mir so viel bedeutet und von der man die Musikkenner erst einmal überzeugen muss. So egal mir das normalerweise ist, so sehr belastete es mich diesmal. Eine für mich ungewohnte Anspannung in den Proben und daraus resultierende Fehler waren die logische Konsequenz. Doch die Konzerte, vor allem das zweite, waren sehr gut.

Ich habe in dem gesamten Projekt viel gelernt; wohl so viel wie noch nie in einem „Ein Dorf singt“-Jahr. Sicher würde man im konkreten Moment gern auf die ein oder andere Erfahrung verzichten, wenn sie unangenehm ist. Doch was einen nicht umbringt, macht ja bekanntlich stark und sorgt bestenfalls für eine steigende Lernkurve. Dass die meisten mehr oder weniger erwartbaren organisatorischen und dramaturgischen Kritikpunkte bzw. nachträglichen Wünsche von 2018 schon im Vorfeld für das nächste Projekt 2019 eingeplant wurden, halte ich für ein gutes Zeichen, dass wir eine gute Arbeit machen und uns am 5. und 6. Dezember 2019 auf ein spannendes Projekt „Ein Dorf singt: Gloria in excelsis Deo“ mit Musik von Bach, Vivaldi und Cherubini freuen dürfen.