Luigi Cherubinis Musik aus meiner Edition erklang in der Frauenkirche Dresden – Weltersteinspielung
Im „Gedenkkonzert an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945“ in der Frauenkirche Dresden wurden am 9. Februar 2019 sieben Werke Luigi Cherubinis aus meiner Edition aufgeführt. Unter der Leitung von Frauenkirchenkantor Matthias Grünert musizierten der Kammerchor der Frauenkirche Dresden, das ensemble frauenkirche dresden sowie die Solisten Sibylla Rubens (Sopran), Britta Schwarz (Alt), Tobias Hunger (Tenor) und Tobias Berndt (Bass). Das Label Rondeau Production hat das Programm als Weltersteinspielung mitgeschnitten.
Wie es zum Projekt kam
Erstmals zusammengeführt hat uns Cherubinis Musik im Februar 2017. Anlässlich des 175. Todesjahres des Komponisten standen neben dem c-Moll-Requiem drei Werke aus meiner Edition auf dem Spielplan von Theater&Philharmonie Thüringen; das Requiem erklang nach den drei Sinfoniekonzerten in Gera und Altenburg nebst einer Haydn-Sinfonie auch in der Frauenkirche. Der Kammerchor der Frauenkirche Dresden und die Solisten wurden damals begleitet vom Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera, die Leitung hatte Frauenkirchenkantor Matthias Grünert. Das einzige Werk, bei dem es sich um eine zeitgenössische Erstaufführung gehandelt hat und um eine Weltersteinspielung gehandelt hätte (O fons amoris), ist bei der CD-Produktion des Programms damals leider der begrenzten Spielzeit und letztlich der Dramaturgie zum Opfer gefallen.
Doch genau das war wohl der Grund, weswegen wir anschließend ein neues Programm auf die Beine stellen wollten. O fons amoris fand zwar letztlich keine Berücksichtigung, doch das Cherubini-Virus hatte Matthias Grünert derartig infiziert, dass nach ein paar Stunden am Klavier feststand: Diese Musik MUSS im Februar 2019 auf das Programm des Gedenkkonzertes anlässlich der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg in der Frauenkirche. Kurz zuvor hatte ich in Paris das Manuskript mit den drei zuvor völlig unbekannten Werken Cum invocarem, Qui habitat und Nunc dimittis gefunden. Diese standen somit als zeitgenössische Erstaufführungen im Zentrum des ersten Teils, ergänzt durch das zeitgleich entstandene Exulta e lauda. Kontrastiert wurden diese italienischen Jugendwerke mit drei Kompositionen aus der Pariser Zeit: den großen chorsinfonischen Motetten Kyrie et Pater noster und Inclina, Domine sowie dem O salutaris hostia in Es-Dur für Alt und Streicher. Bereits beim groben Durchspielen am Klavier geriet Matthias Grünert ins Staunen und war voll der Begeisterung.
Die Proben- und Konzerttage
Wie schon 2017 durfte ich auch diesmal den Probenprozess begleiten. Da es sich teilweise um die Erstaufführungen der neu edierten Werke handelte, war damit zu rechnen, dass es Fehler oder zumindest Uneindeutigkeiten in den Noten geben würde; außerdem war klar, dass Fragen zur Aufführungspraxis auftauchen werden. Ich freue mich daher sehr, dass ich an den drei Probentagen stets bei den Solo-, Chor-, Orchester- und Gesamtproben dabei sein durfte und hoffe, dass ich neben meiner Editionsarbeit auch mit meinen Anmerkungen zu den philologischen Befunden an den Manuskripten und zur Aufführungspraxis einen kleinen Teil zum Gelingen dieses Projektes beitragen konnte. Umgekehrt habe ich durch das Energiebündel Matthias Grünert mit seinen vielen klugen Interpretationsideen und seiner hochvirtuosen Musikalität unglaublich viele musikpraktische Anregungen für meine eigene dirigentische Arbeit mitgenommen. Ich saß eigentlich „nur“ dabei, war aber nach jeder Probe mental genauso entkräftet, wie die Mitwirkenden, die auch physisch an ihre Grenzen getrieben worden sind. Umso erfreuter war ich, dass alle Beteiligten die Musik Cherubinis von Anfang an „großartig“ und „überwältigend“ fanden, und diese Anstrengungen gern auf sich nahmen.
Eine Stunde vor Konzertbeginn durfte ich als Gesprächspartner von Matthias Grünert die vom Leiter des Konzertbüros der Stiftung Frauenkirche Dresden Christian Drechsel moderierte Konzerteinführung in der Kirche mitgestalten. Im Zwiegespräch erläuterten wir dem Publikum, wie ich begann mich Cherubini zu widmen, was das Besondere an dessen Musik ist, wie es zum gemeinsamen Projekt kam und natürlich auf was sich die Zuhörer im folgenden Konzert einzustellen hatten.
Das Konzert selbst war dann für mich der abschließende Höhepunkt. Nachdem alle Werke zuvor meist nur abschnittsweise und im probenökonomisch bedingten „Durcheinander“ gespielt sowie aufgrund der CD-Aufnahme ständig wiederholt worden waren, war ich gespannt das Programm endlich komplett und an einem Stück durchlaufend zu erleben. Es war ein großartiges Konzert! Ich halte diese Aufführung für das mit Abstand Beste, was in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der geistlichen Musik Cherubinis zu erleben war – und da sind durchaus namhafte Akteure am Werk gewesen. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht weiter ins Detail gehen, sondern empfehle jedem dringend, die voraussichtlich im Herbst beim Label Rondeau Production erscheinende CD zu erwerben. In den kommenden Wochen schreibe ich auch hierzu wieder das Booklet und kann hoffentlich Ergebnisse meiner im März stattfindenden Forschungsreise einfließen lassen.
Persönliche Eindrücke
Für mich liefen in diesem Konzert einige rote Fäden zusammen. Natürlich ist es ein großartiges Gefühl, nach Jahren der Forschungs- und Editionsarbeit die Noten, die man aufs gedruckte Papier gebracht hat, endlich als klingende Musik erleben zu dürfen. Wenn dies von einem solch begeisterten und motivierten Ensemble unter dieser engagierten Leitung geschieht, ist es noch einmal erhebender. Zusätzlich war es ein wirkungsvoller Ort. Als gebürtiger Sachse kenne ich aus Kindertagen noch die Frauenkirchenruine und war während des Wiederaufbaus mehrfach in Dresden. Die Geschichte dieser Kirche hat mich also schon lange fasziniert und war für mich als gerade einmal 10-Jähriger das erste anschauliche Symbol für die katastrophalen Folgen eines Krieges, das ich in meiner rückblickenden Erinnerung bewusst wahrgenommen habe. Noch nie hatte ich allerdings ein Konzert in der Frauenkirche erlebt. Diese Premiere nun mit einem reinen Cherubini-Konzert zu begehen, war ein umso besondereres Erlebnis.
Weiterhin verbinde ich mit Cherubinis Exulta e lauda sehr viel. Als ich meine Masterarbeit in Angriff nahm, entschloss ich mich – für einen Musikwissenschaftler eher ungewöhnlich –, diese um ein Konzert zu ergänzen. Ich gründete damals den Kammerchor des Instituts für Musikwissenschaft Weimar-Jena (der danach leider nicht weiter existierte) und gewann einige Instrumentalisten verschiedener Institute für ein Projektorchester. Das Konzert am 23. Juni 2014 in der Jakobskirche Weimar trug den Titel „Exulta e lauda“ und Cherubinis gleichnamige Komposition stand sowohl am Beginn als auch am Ende des Konzertes. Es war somit das erste Werk Cherubinis, das ich in meinem ersten Weimarer Konzert dirigiert und zu dem ich dadurch natürlich eine große emotionale Bindung habe.
Vier Jahre später, am 24. Oktober 2018 fand an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar der Festakt anlässlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. Helen Geyer statt. Ich dirigierte dort wiederum ein Projektorchester aus Studierenden verschiedener Institute. Neben Musik von Bach und Molter stand natürlich auch Cherubini auf dem Programm: Wir spielten die Sinfonia aus der Oper Idalide und als zeitgenössische Erstaufführung das O salutaris hostia in Es-Dur für Alt und Streicher – ein unglaublich beeindruckendes Stück, wie auch das ganze Projekt für mich beeindruckend war. All das kam natürlich in Dresden wieder hoch.
Ich durfte Exulta e lauda noch ein zweites Mal dirigieren: Im Rahmen von „Ein Dorf singt“ stand es 2016 auf dem Programm des 145. Jubiläumskonzertes des Männergesangvereines Langenbernsdorf e. V. (seit 2019 Gesangverein zu Langenbernsdorf e. V.), wo ich es zweimal mit meinen Chören und der Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach aufführte. Ein halbes Jahr später stand meine Dirigierpartitur auf dem Flügel von Matthias Grünert und überzeugte auch ihn von der Genialität des erst 16-jährigen, gewissermaßen frühreifen Komponisten.
Apropos Langenbernsdorf: Das 175. Todesjahr Cherubinis 2017 nutzten auch wir, um den Komponisten zu würdigen. Gemeinsam mit meinen Sängerinnen und Sängern des Männerchores und des Projektchores, den Solisten und der Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach sorgten wir neben Ave Maria für die zeitgenössischen Erstaufführungen von Kyrie et Pater noster, Tantum ergo in B-Dur, Inclina, Domine und Iste die. Diese Musik hat viele von uns Laiensängern gefordert – manche auch überfordert –, doch konnten wir nicht nur musikalisch daran wachsen, sondern sowohl Mitwirkende als auch Publikum begeisterten sich schnell und nachhaltig für diese großartige Musik.
Also machten sich nun 52 Sängerinnen und Sänger sowie Angehörige aus Langenbernsdorf auf den Weg nach Dresden. Es war für mich berührend zu sehen, dass ich durch meine editorische und dirigentische Arbeit andere so stark angesteckt habe, dass es ihnen ein Bedürfnis war, nach Dresden zu kommen, um dieses Ereignis nicht zu verpassen. Ich rechne es Matthias Grünert obendrein hoch an, dass er es sich zwischen Generalprobe und Konzert(einführung) nicht nehmen ließ, den Chor beim Abendessen im Restaurant „Dresden 1900“ persönlich zu begrüßen. – Im Jahr 2017 spielte er zum Kirchweihjubiläum an der Orgel der Langenbernsdorfer St. Katharinenkirche ein Konzert, das ebenfalls einige von uns erlebt hatten. Vielleicht ergeben sich künftig weitere gegenseitige Besuche oder sogar eine musikalische Zusammenarbeit…? Jedenfalls werden sich wohl wieder einige Langenbernsdorfer auf den Weg nach Dresden machen, wenn der Name Cherubini auf dem Konzertprogramm der Frauenkirche erscheint.
Dank und Ausblick
Ich danke an erster Stelle Frauenkirchenkantor Matthias Grünert. Ihm war nicht nur während der ganzen Zeit anzumerken, dass er ernsthaft für die Musik Cherubinis brennt, sondern sowohl organisatorisch als auch vor allem musikalisch war das eine große Leistung. Ich bin mir sicher, dass mit diesem Konzert künftig einiges möglich ist, was zuvor nicht möglich schien. Cherubini hat mit Matthias Grünert nicht nur einen wichtigen Fürsprecher erhalten, sondern auch einen äußerst fähigen Dirigenten aus der ersten Liga der europäischen Kirchenmusiker, der mit der aktuellen CD-Einspielung einerseits zeigt, welch großartige Kompositionen zwei Jahrhunderte lang ungespielt blieben, der andererseits aber auch eine Referenzaufnahme vorlegt, an der sich künftige Aufführende messen lassen müssen und die lange als aufführungspraktisches Vorbild Bestand haben wird – da bin ich mir sicher.
Ebenso gilt mein Dank allen Mitgliedern des Chores und des Orchesters sowie den Solisten. Es war ein Projekt, das alle über das normale Maß an Vorbereitung und Probenzeit gefordert hat. Alle haben Neuland betreten und mussten sich – obwohl es derselbe Komponist war – völlig unterschiedlicher Musik mit unterschiedlichen ästhetischen Anforderungen stellen.
Es bleibt zu hoffen, dass das jetzige Konzert großen Nachhall findet, dass die CD gut angenommen wird und vor allem, dass es eine Fortsetzung gibt. Matthias Grünert und ich haben bereits mehrere Ideen, deren Umsetzung möglich scheint. Alle wissen, dass es letztlich eine Frage der Finanzierung ist und dass Konzerte eben nicht nur musikalischem Wunschdenken unterliegen. Wenn es aber ein gewichtiges Argument zur Fortführung der sehr guten Zusammenarbeit gibt, dann ist es das zurückliegende Projekt mit der Gewissheit: Da haben sich die Richtigen gefunden!